Corona und die Ruhe im Sturm
Momentan läuft ja alles ein bisschen anders. Die Situation ist für alle neu. Plötzlich wird man auf sich und sein engstes Umfeld zurückgeworfen. Zum Homeoffice, kommt noch die zeitgleiche Bespaßung des Kindes, das mittägliche Kochen, das Aufräumen und Putzen einer Wohnung, die auf einmal viel mehr zerwohnt wird, weil wir tatsächlich den ganzen Tag zuhause sind. Hinzu kommt die Sorge um die Arbeitsstelle, um die eigene Gesundheit oder die der Angehörigen, wenn sie zur Risikogruppe gehören, wir vermissen Umarmungen und Berührungen, wenn wir zu den Singles gehören, oder engagieren den Scheidungsanwalt, weil wir plötzlich merken, dass der Partner uns tierisch auf den Keks geht, wir das aber bloß nicht gemerkt haben, weil wir uns ja sonst so wunderbar aus dem Weg gehen können.
Es ist für die meisten Menschen in irgendeiner Form schwerer geworden, aber auf jeden Fall anders. Und doch, bei all der Angst, den Sorgen, der neuen Form von Stress und vor allem der Ungewissheit, was da noch auf uns zukommt, merke ich bei mir und vielen Anderen, dass eine gewisse Ruhe eingetreten ist und immer mehr Raum einnimmt. Ich habe langsam das Gefühl, endlich die Gelegenheit zu bekommen, mich kennenzulernen, ich nehme meine Bedürfnisse stärker war, weil ich momentan nicht so sehr auf die der anderen achten muss (abgesehen von großen Abstand draußen, den ich grundsätzlich, auch außerhalb von Pandemien, gar nicht so schlecht finde) Ich werde plötzlich nicht mehr von so vielen Informationen überschwemmt, kleine Blicke, Kommentare, Bewegungen der anderen, die im sozialen Miteinander von mir selbst ablenken.
Tatsächlich gibt es auch noch andere Dinge, die mir gerade so gar nicht fehlen. Das morgendliche Hetzen zur S-Bahn und die dazugehörige Entscheidung, komme ich lieber pünktlich und ertrage, dass ich den Atem fremder Leute im Nacken spüre, ihre Arme im Kreuz und Gleichgewichtsübungen machen muss, weil keine Stange zum Festhalten mehr frei ist (was auch nicht so schlimm wäre, da es so eng ist, dass ich sowieso nicht hinfallen kann). Oder komme ich zu spät und riskiere einen Rüffel, weil ich die nächste S-Bahn abwarte, die wenn ich Pech habe, genauso voll ist. Ich habe tatsächlich das Gefühl, ruhiger zu schlafen, seit ich dieser Reizüberdosis entkommen kann. Nein, mir fehlen sie nicht, die volle S-Bahn, die hupenden Autos, die gestressten Menschen, die mich anpflaumen, weil vor ihnen nicht schnell genug laufe.
Und doch fehlen mir meine Lieben, es fehlt mir, einfach in den Wald, an den See oder in die Berge fahren zu können – zugegeben, dazu fehlt mir meist sowieso die Zeit -, es fehlt mir mich mit Freunden zum gemeinsamen Musizieren zu treffen und die Vorstellung, nicht verreisen zu dürfen, könnte Panik in mir auslösen.
Aber ich weiß: Es werden auch wieder andere Zeiten kommen. Und solange wir gerade in Isolation sind, hilft es nur, statt mich im Frust zu suhlen und mich gegen etwas zu stemmen, was aktuell stärker ist als wir, das Beste draus zu machen.
Und deshalb halte ich es mit Karl Valentin:
Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es trotzdem.
Und dann fällt mir wieder mein Lieblingsspruch ein:
Nicht warten bis der Sturm vorüber ist, sondern lernen, im Regen zu tanzen
Und das mache ich, tagsüber mit meinem Kind und nachts alleine, weil gerade keiner da ist, der zuschaut und erwartet, dass ich mit ihm tanze. Das mache ich, wenn ich am Fluss entlang jogge und abends wenn ich, nach getaner Arbeit und Telefonaten mit meinen Lieben, Gitarre spiele. Dann gebe ich mich ganz meinem ureigenen Rhythmus hin und genieße meine Gesellschaft. Denn das ist die einzige, die ich gerade habe und, ganz ehrlich, so schlecht ist die gar nicht. Ich glaube, ich werde mir auch nach der Zeit der Isolation ab und zu einen Abend für ein Date mit mir freihalten.